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Nach dem Aktivismus

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Philipp Schink / Timo Wandert


Unser Bemühen, neu zu bestimmen, wie das Denken und die Handlungsformen eines politischen Aktivismus beschaffen sein müssten, um aktuelle Verhältnisse tatsächlich eingreifend verändern zu können, besteht auch in dem Versuch zu verstehen, warum wir aufgehört haben, Teil der aktivistischen Linken zu sein. Das Unterfangen, von dem Ende der eigenen Teilnahme an politischen Auseinandersetzungen her den eigenen früheren Aktivismus als zu begrenzt zu begreifen und in Folge einen Aktivismus zu skizzieren, der plausibel beanspruchen kann, Handlungs- und Eingriffsmöglichkeiten gerechtfertigt anzugeben, gewinnt seine Idee nicht zwangsläufig aus der nostalgischen Rückwendung der Ältergewordenen. Nicht loslassen und nicht abschließen zu können, rührt in diesem Fall eher von der diffusen Überzeugung her, dass dem vergangenen politischen Handeln und Denken etwas eignet, das nicht abgegolten, sondern merkbar geblieben ist.


Zu diesem Prozess des Neufassens gehört auch, zu denjenigen herüberzublicken, mit denen man zumindest eine gewisse Zeit gemeinsam aktiv gewesen ist. Was tun die (ehemaligen) Genoss/innen heute, was ist ihr Umgang mit dem geteilten Kapitel militanten Engagements? Verfügen sie über eine ähnliche Kritik des früheren Aktivismus wie wir, zeigen sie Wege auf, neue Perspektiven auf das Politische zu entwickeln?


Vor diesem Hintergrund lässt sich das Schaffen von Alex Gerbaulet als ein Unterfangen verstehen, die Möglichkeiten auszuloten, wie man politisch handeln kann, und das heißt auch, wie man den eigenen Beitrag plausiblerweise als explizit politischen verstehen kann. Mit ÜBER LAND (2002) [1] und GEFANGENENBILDER (2007) stellt Alex Gerbaulet zwei Filme vor, die auf unterschiedliche Weise diese Fragen reflektieren. Während der erste Film exemplarisch in Inhalt und Herangehensweise die Haltung eines moralistischen Aktivismus vertritt, wirft der zweite Film, gerade wenn man ihn ins Verhältnis zu ÜBER LAND setzt, die Frage auf, was von diesem Aktivismus eigentlich übrig bleibt, wenn die ihn auszeichnende Selbstevidenz der Ansprüche und die Klarheit der Handlungsimperative nicht mehr gegeben sind.


GEFANGENENBILDER zeigt, wie in der Jugendanstalt Neustrelitz Nazitätowierungen von Inhaftierten mit anderen Bildern und Motiven übertätowiert werden. Die Antworten der Insassen auf die zurückhaltenden und spärlichen Fragen der Filmemacher/innen machen deutlich, dass die Tätowierungen aus mehr oder minder trivialen Gründen verdeckt werden. Entweder war es eben „ne Phase“, in der man sich ein Hakenkreuz in die Haut hat einschreiben lassen, und/oder man möchte nicht mehr stark auffallen, die Gefahr von Strafanzeigen minimieren etc. Die Motivationen der Insassen sind vielfältig, jedoch finden sie ihren Grund nie in der expliziten Abkehr von nationalsozialistischen Positionen. An diesem Film interessiert uns besonders, dass der Beobachter durch das Dargestellte zwar herausgefordert wird, der Film jedoch jede klare Stellungnahme und Beurteilung vermeidet. Wenn auch die Filme von Alex Gerbaulet sicherlich nicht der Sparte Agitation und Propaganda zuzurechnen sind, werfen sie als „politische“ Filme die Fragen nach der Bedeutung und Beurteilung des Dargestellten sowie des Umgangs damit auf. Dabei lässt sich GEFANGENENBILDER in gewisser Weise als ein Kommentar zu dem früheren Film ÜBER LAND verstehen. Während es in letzterem darum geht, eine verdeckte, illegale Praxis sichtbar, d.h. öffentlich zu machen, geht es ersterem darum zu zeigen, dass das bloße Überdecken und Nicht-Sichtbarmachen keine angemessene Handlungsstrategie sein kann. GEFANGENENBILDER unterscheidet sich jedoch auch deshalb von ÜBER LAND, da dem Film jegliche Emphase und Gewissheit in der Aussage fehlen. Es ist eine Art Interimsfilm, in dem in Reaktion auf eine fehlende Handlungs- und Urteilsgewissheit nicht die Abkehr von „politischen Fragestellungen“ vollzogen wird, sondern sich vielmehr auf das Material konzentriert wird.


ÜBER LAND greift in Form eines nachgestellten Interviews die Ende der 1990er/Anfang der 2000er in antirassistischen linken Kreisen diskutierte und z.T. auch verfolgte Praxis der Fluchthilfe auf. Dabei legt die gesamte Herangehensweise des Films nahe, dass es darum geht, das Phänomen der Fluchthilfe aus einer anderen Perspektive zu behandeln, als es normalerweise unter dem Stichwort des „Menschenhandels“ oder der „Schlepperei“ in der öffentlichen Diskussion geschieht. Auffällig ist, dass die Art und Weise, in der der Film sich seines Gegenstands annimmt, charakteristisch ist für einen Typus der Herangehensweise an politische Themen, der gerade in der autonomen oder postautonomen bundesdeutschen radikalen Linken stark ausgeprägt ist. In ÜBER LAND tritt der Fluchthelfer als jemand auf, dessen Selbstverständnis als politischer Akteur sich wesentlich und unmittelbar anhand moralistischer Kategorien und Überlegungen bildet. Die richtige Einsicht eines derart verfassten politischen Aktivismus besteht darin, dass, wenn jemandem „moralische Ansprüche“ zukommen, die allgemein und grundlegend gelten, ihre Realisierung nicht von den kontingenten Bedingungen in einem Land abhängen darf. Diese Einsicht führt jedoch zu dem Problem, dass die Frage, wie aus der moralischen Überzeugung, dass jemandem Ansprüche zukommen, eine politische Reflexion erwachsen kann, die in der Lage wäre anzugeben, wie die Ansprüche tatsächlich garantiert werden können, selbst nicht verfolgt und politisch beantwortet wird. Denn erst, wenn dieser Schritt getan wird, lassen sich die grundlegenden moralischen Ansprüche von Personen in der Weise verstehen, dass sie unbedingt zu gelten haben, d.h. z.B., dass Personen nicht mehr auf die zufällige Bereitschaft von einigen angewiesen sind, ihnen bei einem Grenzübertritt zu helfen. [2] Als Forderung an einen politischen Aktivismus folgt daraus, dass dieser zumindest die Reflexion auf dieses grundlegende Problem zu einem zentralen Bestandteil seiner Bestimmung und dem Selbstverständnis der Akteur/innen machen muss.


Dass linke politische Aktivist/innen in aller Regel aus der Position einer primär moralischen Empörung aufgrund der bestehenden schlechten politischen Verhältnisse argumentieren, führt allerdings oft dazu, dass mit einer derartigen politischen Perspektive auf die Dinge stets ein defizitärer Modus verbunden wird. Auf der einen Seite stehen die unbedingten Ansprüche, auf der anderen Seite im besten Falle ihre bedingte, d.h. unzureichende Realisierung. „Politik“ gerät so in den Augen der Aktivist/innen zu einem strukturell „schmutzigen Geschäft“. Selbst wenn diese Beschreibung für die aktuelle Politik zutreffend sein sollte, so ist die Folgerung, die politische Aktivist/innen aus dieser Feststellung ziehen, fatal, da letztlich nicht nur ein Typus faktischer politischer Aktivität diskreditiert wird, sondern ebenso sehr ein gesamter Typus von Reflexion und politischem Denken. Der resultierende moralistische Aktivismus zeichnet sich dadurch aus, jede moralische Situation in der Weise wahrzunehmen und zu beschreiben, als würde man direkt und unmittelbar mit dem Leiden anderer konfrontiert sein. In dieser Auffassung ist dann auch immer schon die direkte Handlungsanweisung inbegriffen, die Handlungsform eindeutig. Analog dem Fall einer ertrinkenden Person, in dem intuitiv klar ist, dass und wie man handeln muss, wird von den Aktivist/innen letztlich jede Situation begriffen, in der tatsächlich oder vermeintlich die Ansprüche von Personen verletzt werden. Dadurch ist aber jede andere Beschreibung von Situationen immer schon falsch und ebenso auch jeder andere Handlungsvorschlag als der von den moralistischen Aktivist/innen verfolgte.


Sicherlich ist der Preis eines derartigen Aktivismus für Aktivist/innen hoch und die Praxisfelder, die sich eignen, den Anspruch, direkt zu helfen, umzusetzen, sind begrenzt. Wir wissen, dass aus diversen Gründen Aktivist/innen, die sich ernsthaft und mit hohem persönlichen Risiko investiert haben, irgendwann aufhören politisch aktiv zu sein. Da der Moralismus aus der Binnenperspektive kaum Ansätze bietet, den Zugriff auf die Welt zu verändern, lässt sich bei ehemaligen Aktivist/innen oftmals das Phänomen beobachten, dass diese völlig mit ihrer politischen Geschichte brechen und zwar in dem Sinne, dass Haltungen und Einsichten aus der Zeit des Aktivismus kaum noch relevant sind. Wenn man die wenig überzeugende Betrachtungsweise aufgibt, den Rückzug von der Praxis in einem persönlichen Defizit begründet zu sehen, kommt man zu dem Schluss, dass es den ehemaligen Aktivist/innen offensichtlich in ihrem Zugang zu politischen und moralischen Fragen an etwas fehlt, das es ihnen ermöglichen würde, nicht nur den Bruch als Weg aus dem Aktivismus zu wählen. Wie beschrieben, mangelt es den moralistischen Aktivist/innen an dem Wissen, moralisch relevante Situationen in ihrer Komplexität und Vielschichtigkeit wahrzunehmen: Eine moralistische Perspektive reduziert moralische Situationen auf die vermeintliche unmittelbare Konfrontation mit dem Leiden anderer und kann, aktivistisch gewendet, entsprechend nur in Praxisfeldern zum Einsatz kommen, in denen dieser direkte Zugang scheinbar möglich ist. Es scheint jedoch klar zu sein, dass diese stark reduktionistische Sichtweise auf die komplexen Herausforderungen der politischen Verhältnisse tatsächlich kaum, geschweige denn angemessen zu reagieren vermag. Der Moralismus hat somit als eine mögliche logische Konsequenz nicht nur eine Indifferenz oder Beliebigkeit, sondern ebenso die Ansicht, dass, wenn die Verhältnisse schon derartig schlecht und vielschichtig sind, man sie nicht mehr unmittelbar und direkt ändern kann, man in seinem Handeln gar keine normativen Maßstäbe mehr berücksichtigen muss. Der moralistische Zugang zu politischen Praxisfeldern lässt sich in der Tat aus der Binnenperspektive kaum in eine politische wie moralisch differenzierte, d.h. präzise und strategisch wie normativ reflektierte Haltung transformieren. Eine solche Haltung ist jedoch zwingend notwendig, um mit den diversen lebensweltlichen Anforderungen, persönlichen Ansprüchen und Vorstellungen tatsächlich in einer kritischen und normativ orientierten Weise umgehen zu können.


Demgegenüber scheint in Alex Gerbaulets Film GEFANGENENBILDER eine Herangehensweise zu finden zu sein, in der nicht gleich die Sicht auf die Komplexität der Phänomene durch die moralistische Perspektive verstellt wird. Zu konstatieren allerdings, dass die Dinge und Verhältnisse nicht so einfach zu erklären und zu beurteilen sind, wie das der Moralist gerne möchte, stellt jedoch selbst noch keine befriedigende Antwort auf die Frage nach den Möglichkeiten des verändernden Eingreifens in gesellschaftlich-politische Verhältnisse dar.

 

[1]

In my video I’m interviewing an escape helper about what border crossing services mean for him and about his motivation for doing his „job“. My video shows camera shots of different landscapes and cities. Inbetween you see my interviews with the escape helper (his face being made unrecognizable). Shot as a fake documentary the video comments on reception of moving images as beeing „true“ and „authentic“. The sound asynchrony and the reception of the images irritate and wear themselves out. Their sensational meaning pales with their authenticity. The utilized samples of the directed interview situation and the landscapes are merged with my own written fictional interview I once did in response to a newspaper interview with austrian escape helpers (published in TATblatt 1999).

[2]

Neben die Erkenntnis, dass es problematisch ist, wenn moralische Ansprüche in ihrer Realisierung auf die kontingente Bereitschaft oder Fähigkeit von Personen angewiesen sind, tritt zudem die Einsicht, dass auch das Verhältnis zwischen den Trägern von Ansprüchen und den zur Hilfe Verpflichteten nicht frei von Schwierigkeiten ist. Selbst wenn jemand moralisch verpflichtet ist, die Ansprüche anderer zu erfüllen, neutralisiert diese Verpflichtung nicht, dass die Personen, denen geholfen wurde, wissen, dass sie diese Hilfe letztlich der freien Entscheidung anderer verdanken. Die Person, der geholfen wurde, weiß, dass die helfende Person sich hätte anders entscheiden können; dies führt ihr vor Augen, dass sie in Abhängigkeit zu der anderen Person gestanden hat.