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Do It Yourself – two revolutionary songs

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Zwei Filme über Andere Räume, Selbstorganisation und neue Arbeitskonzepte


Gerade haben wir eine Mauer eingerissen, der Vorhang öffnet sich, wir gehen durch die Stadt, am Strand entlang, um gleich darauf in eine U-Bahn zu steigen, die uns zu einer Demonstration fährt. Filme haben den Vorteil, dass sie nicht an Raum und Zeit gebunden sind. Noch im Dunkel des U-Bahn-Schachts, das sich über die Leinwand ausbreitet und nun auch den Kinosaal vollkommen ausfüllt, hören wir die Titelmelodie.

 

Ein Kind, das im Dunkeln Angst bekommt, beruhigt sich, indem es singt. ... Dieses Lied ist so etwas wie der erste Ansatz für ein stabiles und ruhiges ... Zentrum mitten im Chaos. Es kann sein, dass das Kind springt, während es singt, dass es schneller oder langsamer läuft; aber das Lied selber ist schon bereits ein Sprung: es springt vom Chaos zum Beginn von Ordnung im Chaos, und es läuft jederzeit Gefahr zu zerfallen. Der Ariadnefaden erzeugt immer Klänge. Oder Orpheus singt.“[1]

 

Auch Revolutionäre singen, wenn sie im Chaos der Zustände, die sie aufgewühlt haben, einen Faden aufnehmen. Ihr Gesang ist manchmal schon eine feste Ordnung und wird begleitet von einer klaren Choreografie. Häufiger mag der Gesang sich nach Lärm anhören, nach einem Rauschen, dessen verborgene Rhythmen man erst erkennt, wenn man sich mitreißen lässt.

Beide Filme, von denen hier geschrieben werden soll, erzählen von solchen Liedern. Der Video-Loop BUILDING FESTIVAL von Benjamin Cölle[2] beschreibt die Rhythmen selbstorganisierter Arbeitsformen am Bau eines alternativen Kinos. Während Nele Wohlatz in ÜBEN FÜR UTOPIA[3] die vielstimmigen Geschichten der Kooperativen in Argentinien mit Proben zu einem Theaterstück über Fabrikbesetzungen und eigenen Texten zu einem komplexen filmischen Essay über utopische Arbeits- und Lebenszusammenhänge montiert.

 

Zu Anfang des Videos BUILDING FESTIVAL sehen wir Schwarzbild und hören eine sich aufbauende, lauter werdende Tonspur aus rhythmisch zusammengefassten Sound-Scapes, die sich nach einiger Zeit als akustische Spuren von Arbeit lesen lassen. Hammerschläge. Maschinengeräusche. Dazwischen Satzfragmente in verschiedenen Sprachen. „Mit dem Film ging es uns stark um Atmosphäre. Mehr als darum, etwas zu dokumentieren. Ich wurde dabei inspiriert von einem Film aus Tansania: These Hands. Das ist ein Film über einen Steinbruch und man sieht die ganze Zeit Frauen, die Steine zerklopfen. Ich war sehr an den Rhythmen interessiert, die dort passieren.“[4]

Wenn schließlich das Bild erscheint, haben wir uns schon eine Vorstellung von Arbeit gemacht. Nun geht die Kamera von Raum zu Raum, wird scheinbar herumgereicht und zeigt uns, wie under construction ein Kino entsteht. Der aufgegriffene Faden spannt einen neuen Raum auf. Doch Benjamin Cölle erzählt dabei nicht linear. Es gibt keinen Anfang und kein Ende. Nur andauernde Abläufe. Das koppelt die Arbeit vom Produkt los und verschiebt so die Betonung auf den Prozess. Auch die wenigen Texttafeln im Abspann, in denen wir erfahren, dass ein Kino gebaut wurde, das nun selbstorganisiert betrieben wird, funktionieren als Verweis auf weitere Prozesse und andere Umbauten. Umbau der Kinolandschaft. Umbau der Sehgewohnheiten und Repräsentationsmuster. Gemeinschaft entsteht hier im Prozess und wird nicht als einheitlicher essentialistischer Körper präsentiert.

Auch wenn es sich um konkrete Arbeit handelt, bleibt das Produkt für das Publikum spekulativ. Wir erfahren nichts Genaues über die Bedingungen, unter denen das BUILDING FESTIVAL stattfindet und wie das Kino im Weiteren arbeiten wird. Die gezeigten Abläufe haben vielmehr Symbolcharakter. So kann man die Betonung des Rhythmischen (d.h. zeitlich sich Entfaltenden) und Unabgeschlossenen (Loop) auch als politisches Modell lesen, das Prozesse immer der Etablierung von Politik als räumliche Machtstruktur vorzieht.[5] Und genau darin liegt meiner Ansicht nach das politische Potential des Films. Auf der symbolischen Ebene kann eine politische Handlungsfähigkeit proklamiert werden, ohne sich einer pragmatischen Problemlösung verschreiben zu müssen. So fragmentarisch non-linear wie der Film gestaltet sich auch das politische Handeln, wenn es sich nicht augenblicklich nach den kleinsten Errungenschaften schon zur Ruhe setzen will und nur Räume schafft, um Institutionen zu vermehren.

 

Auch Nele Wohlatz geht es in ihrem Film ÜBEN FÜR UTOPIA eher um die Erforschung realer Prozesse als um die Betrachtung von Räumen oder Verräumlichungen des sozialen Umbruchs. Und das trotzdem oder gerade, weil sie konkrete Räume aufsucht.

Für ihren Film ist die Szenografin und Dokumentarfilmerin einige Jahre nach dem Höhepunkt der sogenannten Argentinienkrise mit einer deutschen Theatergruppe nach Buenos Aires gereist, um dort die Entwicklung eines Theaterstückes über die jüngste Geschichte der Fabrikbesetzungen filmisch zu begleiten. Über die Theaterproben hinaus beobachtet sie Alltag und Arbeitsabläufe in den besetzten Fabriken und in der Stadt, um sich selbst ein Bild zu machen. Die Arbeit an ihrem Film ermöglicht ihr den Zugang zu den Produktionshallen, Verwaltungsgebäuden, Versammlungen und Demonstrationen. Sie befragt Arbeiter/innen und Frauen aus der Verwaltung verschiedener Kooperativen, einen Psychoanalytiker, der eine eigene Kooperative gegründet hat und die Prozesse der Fabrikübernahmen begleitet; sie nimmt Stimmen aus den Versammlungen auf und verfolgt die Entstehung der Texte für das Theaterstück, das in einem besetzten Hotel geprobt wird.

All diese Orte könnte man als Heterotopien bezeichnen, deren Ein- und Ausschlussmechanismen Nele Wohlatz untersucht – nicht zuletzt, wenn sie ihr eigenes Verhältnis zu den Eindrücken um sich herum befragt.

Heterotopie ist ein Begriff, den Michel Foucault in den 60er Jahren in seinem Aufsatz Andere Räume einführt. Im Gegensatz zur Utopie, die immer irgendwie unwirklich bleibt, sind Heterotopien reale Orte. Und auch wenn Nele Wohlatz ihren Film ÜBEN FÜR UTOPIA nennt, ist doch bereits das Wort Üben ein Indiz dafür, dass sie sich weniger für die Utopie selbst als für die konkreten Prozesse interessiert. Der Begriff Heterotopie bezeichnet – analog zu Foucaults Konzeption von Macht – Räume, die den bürgerlichen öffentlichen Raum vervielfältigen und mit einem Netz aus heterogenen Gegen-/Entwürfen durchziehen. Räume, die zwar nicht außerhalb der Mächte einer bürgerlichen Öffentlichkeit entstehen – nicht einmal als eindeutige Gegenentwürfe –, die sogar mit allen anderen Räumen in Beziehung stehen und die dennoch so etwas wie realisierte Utopien darstellen, „in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind (...).“[6] Wie die besetzten Fabriken und Kooperativen in Argentinien, die zwar immer noch unter Produktionsdruck stehen, um die Existenz der Mitarbeiter/innen abzusichern, in denen dennoch Prozesse der Selbstermächtigung Vorstellungen von Arbeit und Gemeinschaft in Bewegung gebracht haben.

In Nele Wohlatz’ Film haben alle Akteure ihre eigenständigen Positionen.[7] Sie werden weder sprachlich vereinheitlicht als Teile von etwas noch repräsentieren sie eine gemeinsame Idee. Vielmehr entsteht hier, wie auch in Benjamin Cölles Video-Loop, Gemeinschaft im Prozess, im Widerspruch, in der Selbstbefragung.

Die aus der Bewegung der Kooperativen entstandenen Frei-/Räume sind vor allem multipel. Nicht das eine Andere, sondern viele. Als realisierte Utopien sind sie gleichzeitig materielle und metaphorische Orte. Diese zweifache Räumlichkeit macht es möglich, diese Orte als soziale Praktiken zu begreifen und zu sehen, wie sich Vorstellungen, Begehren, Mythen und Erzählungen an realen Orten in Fabriken, Hotels, Kooperativen und auf den Straßen materialisieren und sie in Heterotopien verwandeln. Diesen Prozess zeichnet Nele Wohlatz auch in ihrem Off-Kommentar nach, wenn sie faktisches Wissen, reale Erlebnisse, Träume, Briefe an die Eltern sowie Koordinaten ihrer Reise und ihres Filmvorhabens textlich miteinander verbindet. Sie bewegt sich in ihrem Text durch physische Räume ebenso wie durch die Sedimente ihrer eigenen Lebenspraktiken und Vorstellungen sowie durch die der argentinischen Gesellschaft.

Ihre Frage nach der Möglichkeit der Solidarisierung lässt die Erforschung der verschiedenen sozialen und politischen Praktiken, die ihr begegnen, nur umso dringlicher erscheinen. Die Position, die sie für sich reklamiert, ist die der außerhalb Stehenden und doch scheint sie permanent in Frage zu stellen, ob es ein solches Außen überhaupt gibt. Und wenn wir immer schon involviert sind, wie verhalten wir uns?

Im Off-Kommentar beschreibt sie den Wunsch, mit eigenen Augen sehen zu wollen, und das Bedürfnis, etwas zu verstehen. Die Anziehungskraft, die dabei gerade Argentinien auf sie hat, mag darin liegen, dass sich hier seit Ende der 90er Jahre etwas ereignet hat. Ein Ereignis trotz allem. Trotzdem die Einflussmöglichkeiten der Arbeiter/innen und Bürger/innen weltweit immer geringer geschätzt werden. Trotzdem der wirtschaftliche Umbau Argentiniens mit einer großen Privatisierungswelle seit Anfang der 90er Jahre unaufhaltsam erschien. Trotzdem immer noch allzu oft von nur EINER Moderne und EINER linearen Geschichte ausgegangen wird, obwohl es andere Geschichtsmodelle und andere Modernisierungstheorien gibt. Tatsächlich gibt es mehrere Geschichten.

Die sogenannte Argentinienkrise hat Ende der 90er Jahre angefangen und wirkt bis heute nach. Es könnte die Geschichte eines Zusammenbruchs sein. Bankenkrise, Massenarbeitslosigkeit, Kapitalflucht, Armut. Stattdessen müssen wir heute komplexere Geschichten erzählen und auch vom Ereignis der Selbstermächtigung sprechen.

In einer großen Privatisierungswelle Anfang der 90er Jahre wurden in Argentinien viele Staatsbetriebe verkauft, was unter anderem dazu führte, dass weite Teile der argentinischen Wirtschaft vom Ausland abhängig wurden und somit auch anfällig für Spekulation und Kapitalflucht. Ein Phänomen, das Ende 2001 maßgeblich zur Bankenkrise beigetragen hat, in deren Zuge viele Fabriken geschlossen wurden. Als Auswirkung stieg neben den Arbeitslosenzahlen auch die Zahl der Unterbeschäftigten und der Angestellten in der informellen Wirtschaft, wie beispielsweise die Cartoneros, die im Müll nach recyclebaren Materialien suchen und diese dann verkaufen. Diese Zustände führten zu immer mehr Protesten und Demonstrationen. Die Protestierenden haben Straßenblockaden gebaut und wurden nach 2001 zeitweise zu einem wichtigen Machtfaktor in der argentinischen Politik.

Weitere Geschichten erzählen von der Einführung alternativer lokaler Währungen als Versuch, Kapitalflucht und Inflation einzudämmen. Oder von der Entstehung von Tauschringen, die zum Teil eine freiwirtschaftliche Ideologie (zinslose Wirtschaft) verfolgten, meist jedoch, als Ausgleich für die fallenden Gehälter, dem Austausch von Lebensmitteln und Dienstleistungen dienten. Sie wurden ab 2001 zu einem wahren Massenphänomen. Praktiken, die nicht zuletzt antikapitalistische linke Bewegungen in Europa inspiriert und beflügelt haben.

Und schließlich die Geschichte der landesweiten Fabrikbesetzungen, zu denen es nach dem endgültigen Zusammenbruch der Wirtschaft kam.[8] Heute befinden sich noch immer mehr als 200 Fabriken in Arbeiterselbstverwaltung und beschäftigen mehr als 10.000 Mitarbeiter/innen. Fast alle diese Betriebe bestehen als Kooperativen.[9]

In der Weltpresse und vor allem in der linken Presse wird die Bewegung in Argentinien seit Ende der 90er Jahre beobachtet. Auch mich hat das sehr beschäftigt. Ich wollte nach Buenos Aires, weil ich hoffte, dann etwas über Weltwirtschaft zu lernen oder den Begriff Utopie zu verstehen. Aber als ich da war, habe ich mich plötzlich gefrag, was ich hier eigentlich mache. Wie kann ich solidarisch sein? Ich gehe dahin und weiß eigentlich gar nichts. Für mich wird da der Begriff des Übens wichtig. Man kann ja nur üben.“[10]

Der Begriff des Übens ist im Kontext der Zurück-/Eroberung von Handlungsspielräumen schon deshalb produktiv, weil er einen offenen Prozess beschreibt. Das Üben ist eine tendenziell unabgeschlossene Bewegung, die sich auch Verwerfungen und neuen Entwicklungen öffnet, weil sie immer über den momentanen Zustand hinaus will.

Auch wer politische Zustände ändern möchte, begibt sich in einen solchen Prozess der andauernden Bewegung. Immer mehr Menschen greifen auf alternative Konzepte als ein Mittel zum selbstbestimmten oder widerständigen Handeln zurück, weil sie den massiven kapitalistischen Druck nicht aushalten.[11] Eine Möglichkeit ist es, als Antwort auf den verstärkten Druck mit Formen und Initiativen zu reagieren, die Demokratisierungsprozesse mitdenken und gestalten. Eine Fabrik besetzen, ein Kino bauen, ein Festival initiieren.

 

ÜBEN FÜR UTOPIA ist auch ein filmischer Essay über die komplexen Beziehungen von Film und Realität, Kunst und Politik sowie über das Filmemachen selbst.

Als Filmemacher/in kennt man das: Bilder, die einfach schwer zu filmen sind oder gar nicht, weil es Momente gibt, in denen man die Kamera besser ausgeschaltet lässt.[12]Dennoch haben diese ungefilmten Bilder ihr Eigenleben im Prozess des Filmemachens. Wenn Nele Wohlatz einige Begebenheiten aus dem Off beschreibt, anstatt sie zu zeigen, oder von ihren Träumen erzählt, dann ist das wie eine Brücke zu all den ungefilmten Bildern und somit zu ihrem ganz eigenen Prozess des Filmemachens. Dadurch ist der Film schon mehr als eine reine Dokumentation. Es geht auch um die Bedingungen und Möglichkeiten des Bildermachens und um die Frage, wie man von einem Ereignis berichten kann.

„Kamera, Ton, Interviews – alles habe ich selbst gemacht. Ich habe versucht, eine Nähe herzustellen, und gleichzeitig war ich dieser technische Apparat. Deshalb blieb fast immer eine Distanz. Bis auf ein paar Momente. Das waren aber keine spektakulären Momente, in denen ich zum Beispiel etwas Privates von den Leuten erfahren habe, sondern es waren Fehler im Ablauf. Wenn Menschen aus der Rolle gefallen sind, weil es eine Unterbrechung gab. Das waren die Momente, die mich interessiert haben.“

Was könnte angemessener sein, um sich einer politischen Bewegung anzunähern, als Menschen zu zeigen, die aus der Rolle fallen.

Dieses Aus-der-Rolle-Fallen meint aber nicht etwa einen voyeuristischen Moment, vielmehr sind sich die Gefilmten der Kamera sehr bewusst. Sie unterwerfen sich ihr aber nicht, sondern blicken beispielsweise direkt ins Objektiv und durchkreuzen so den filmischen Raum oder sie geben Zeichen, um zu signalisieren, dass sie gerade bewusst etwas für die Kamera getan haben. Statements. Sie werden nicht nur gefilmt, sondern gestalten ihre Repräsentation mit. Nicht zuletzt durch diese bewusst montierten Momente macht der Film deutlich, dass er Subjekte zeigen möchte.

Neben dem Kommentar und der darin zum Ausdruck gebrachten Selbstreflexivität sind es diese Fehler im Ablauf, diese Bilder, die auf die Anwesenheit der Kamera verweisen, die Nele Wohlatz als Authentifizierungsstrategien verwendet und kenntlich macht. Authentizität sucht sie nicht in der Sache selbst, sondern sie vermittelt sie über verschiedene Strategien und zeigt sie als Ergebnis ihrer filmischen Bearbeitung.

In beiden Filmen sind es einmal die unregelmäßigen Rhythmen der Abläufe, die dabei herauszuhören sind, und ein anderes Mal der heterogene Chor verschiedener Melodien, die vom Herstellen oder Intensivieren ästhetisch-kreativer und politischer Prozesse erzählen.

 

Abblende ins Schwarz. Abspann. Ein Text von Alex Gerbaulet über Filme von Benjamin Cölle und Nele Wohlatz. Das Licht geht an. Das Gespräch kann beginnen. Den Kinosaal geschlossen verlassen.

 

1 Deleuze/Guattari, Tausend Plateaus, Berlin 1992, S. 424

2 BUILDING FESTIVAL, Benjamin Cölle, GB 2007, 8 Min., miniDV

3 ÜBEN FÜR UTOPIA, Nele Wohlatz, D/AR 2006/2007, 66 Min., miniDV, Sprache: es/dt mit dtUT

4 Benjamin Cölle in einer Diskussion während des 1. AnaDoma Festivals in Braunschweig, 25. – 27. Januar 2008, www.anadoma.de

5 Politik hat eine topographische Struktur, denn sie ist bemüht, Bedeutungen zu fixieren, also den Fluss der Zeit tendenziell anzuhalten und chronologische Abfolgen synchron zu präsentieren. Ernesto Laclau geht davon aus, dass jedes Bedeutungssystem sich jedoch nur stabilisieren kann, wenn es sich gegenüber einem konstitutiven Außen abgrenzt. Wenn es sich aber an etwas konstituiert, das radikal anders ist, kann es sich niemals vollständig stabilisieren, da genau das, was seine Entstehung möglich macht, es permanent subvertiert. Ein totalitäres System ist nach dieser Vorstellung nicht möglich. Die Ambivalenz dieser Konstituierung nennt Laclau Dislokation, ein temporales Phänomen, das für ihn das Politische im Gegensatz zur Politik ist. Raum ist so aber nicht passiv zur Zeit gesetzt, sondern dadurch, dass er sich permanent herstellen muss, im Gegenteil das Resultat einer artikulatorischen performativen Praxis.

6 Michel Foucault, Andere Räume, aus: Other Spaces. The Affair of the Heterotopia, Graz 1998

7 Auch die Filmemacherin selbst befragt immer wieder ihre eigene Position. Dazu Veronika Gerhard in einer Diskussion mit Nele Wohlatz: „Ich habe schon viele Filme gesehen, die versucht haben, diese reflexive Ebene einzubauen, aber ich finde, du klärst immer im Subtext mit, was du für eine Position einnimmst. Das hast du im Film unter anderem mit dem Psychologen besprochen bzw. deinen Eltern davon geschrieben. Das gefällt mir. Du thematisierst, dass man nicht unbedingt Teil einer Subjektgruppe sein muss, um die Problematik nachvollziehen zu können oder sich zu solidarisieren. Das ist für mich auch das Utopische an deinem Film.“

8 Nele Wohlatz: „Das ist ein wichtiger Punkt bei der ganzen Bewegung. Die Leute machen das nicht in erster Linie aus einer Ideologie heraus. Sie sind nicht unbedingt aus politischer Überzeugung darauf gekommen, eine Fabrik zu besetzen, sondern aus einer Notwendigkeit heraus. Und viele haben gesagt, sie hätten gerne so weitergearbeitet wie vorher, nur gab es auf einmal keine Arbeit mehr. Und es gibt eben auch keine Arbeitslosenversicherung.“

9 Ist es vorstellbar, dass hierzulande Arbeiter/innen beispielsweise das Nokia-Werk in Bochum besetzen und sich Ausbildungsstätten oder Universitäten anschließen würden, um auf die gesamt-gesellschaftlichen Folgen einer solchen Fabrikschließung hinzuweisen? Diese Geschichte zumindest wurde noch nicht geschrieben.

10 Alle Zitate (sofern nicht anders gekennzeichnet) sind von Nele Wohlatz in einer Diskussion während des 1. AnaDoma Festivals in Braunschweig, Januar 2008.

11 Man muss sich heute allerdings fragen, wann Selbstorganisation anfängt, Lücken im System zu füllen, und ein kalkulierbarer Faktor wird, um politische Verantwortung auszulagern. So wie es staatlich geförderte Gemeinwohlunternehmen tun, die ihrerseits auf eine Krise politischer Organe verweisen. „Die reduzierten Möglichkeiten politischer Partizipation sollen demnach durch Arbeit kompensiert werden. Der Staat spart Geld und die Bürger sind sinnvoll beschäftigt.“ (Christian Kravagna, Arbeit an der Gemeinschaft aus: Marius Babias/Achim Könneke (Hg.), Die Kunst des Öffentlichen, Dresden 1998)

Auch eine Bewegung wie die der Fabrikbesetzungen in Argentinien muss vor dieser Folie gelesen werden.

Die Subjektivität eines Arbeiters mit Chef sieht so aus, dass er acht Stunden arbeitet und dann nach Hause geht. In dem Film wird thematisiert, dass die Leute jetzt zum Teil 12 Stunden am Tag und länger eingespannt sind, dass sie kein Privatleben mehr haben oder dass viele Arbeiter sogar in der Fabrik leben, weil sie nicht genug verdienen, um außerhalb leben zu können Da fragt man sich, ob es nicht einfacher ist, acht Stunden am Band zu stehen und dann nach Hause zu gehen statt dieser totalen Anforderung.“ (Veronika Gerhard in einer Diskussion mit Nele Wohlatz während des 1. AnaDoma Festivals)

12 Auszug aus der weiteren Diskussion:

Nele Wohlatz: „Einmal bin ich zu einem (Putz-Arbeiter) gegangen und habe ihn interviewt und bei der Arbeit gefilmt. Das war kompliziert, weil er in einem wohlhabenden Viertel gearbeitet hat und die Hausbesitzer das Einverständnis geben mussten, dass ich filmen darf. Der Mann von dieser Kooperative hat sechs Tage die Woche gearbeitet und hatte einen freien Tag, an dem er arbeiten sollte. Er hat sich geweigert und ihm wurde gekündigt. Von der Kooperative. Das ist ein Beispiel für eine Kooperative, in der es einfach neue Chefs gibt. Sie haben auch nur eine Versammlung im Jahr, obwohl die Kooperativen eigentlich eine Versammlung im Monat haben. Da kommen vielleicht 120 von 300 Leuten, weil die anderen 24 Stunden Dienst haben.“

Veronika Gerhard: „Das ist interessant. Die Arbeiter haben erzählt, das Übelste wäre schon morgens der Lochkartenautomat gewesen. Wenn sie die Lochkarte fünf Minuten zu spät reingesteckt haben, dann war schon eine halbe Stunde verloren. Ich dachte, sie kommen jetzt, wann sie wollen. Sie haben den Lochapparat von der Wand gerissen, stattdessen aber nun eine Person dort hingesetzt, die aufschreibt, wann wer kommt. Das fand ich interessant, dass sie zwar die Geräte abschaffen, die sie kontrolliert haben, aber nun human controls haben.“

Alex Gerbaulet: „Trotzdem gibt es den Moment der körperlichen Arbeit, der interessant ist. Jeder von uns kennt Filme über Fabrikarbeit, wo am Fließband irgendwas hergestellt wird. Aus der Kooperative im Film sieht man jetzt fast die gleichen Bilder, aber das Zeitempfinden ist ein anderes. Die Leute bewegen sich langsamer. Es scheint, dass sie (ihre) Zeit haben, das zu tun, was sie tun müssen. Im Film ist die Rede von der Zurückgewinnung der Subjektivität der Arbeiterinnen. Diese eine Frau z.B., die fragile Kartons faltet, sich viel Zeit lässt, da herumzustapeln, und dann ab und zu einem Karton auf dem Fließband einen Schubs gibt ... Man bekommt den Eindruck, dass sich die agierenden Körper sehr verändert haben.“

Nele Wohlatz: „Die Maschinen wurden aber auch lange nicht mehr modernisiert ... Es wird viel manuell gemacht, was man genauso gut maschinell machen könnte.“

Alex Gerbaulet: „Die Gefahr ist natürlich, dass man einer Sozialromantik verfällt. Da hast du sicher Recht.“