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Einbrüche

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Katharina Sykora

 

Die Künstlerin als Einbrecherin. So könnte das Programm von Alex Gerbaulet heißen. Wenn sie eines hätte. Einbrüche ohne Programm trifft genauer, was sie macht. Sie bricht in Räume ein und Grenzen auf. Der Körper, das Haus, das Dorf, das Land, kurz: unsere Geographien des ‚Heimischen’, werden bei ihr als geschlossene Anstalten sichtbar, die auf Ausschluss basieren. Die künstlichen Gehäuse werden zugleich zu Metaphern unseres Bewussteins. Sie geben Aufschluss über persönlich wie kollektiv Verdrängtes. Unsere Kultur des Behaustseins wird unheimlich. Das ist das Politikum an den Arbeiten von Alex Gerbaulet. Doch es geht um mehr als um Erkenntnis. Es geht um Handeln durch Sehen. Wenn in ihren Filmen, Installationen und Kinoprogrammen Wort und Bild an die Mauern politischer Räume und politischen Denkens stoßen, dann jedoch durch die Ritzen schlüpfen und durch die Hintertür wieder hervortreten, sind das Gebrauchsanweisungen eines Aktivismus, der Kunst und Politik in eins setzt. Auch unsere Rolle wird dadurch geschmeidiger. Wir werden zu Komplizen und Detektiven der Einbrecherin. Wir sind ihr auf den Fersen und auf der Spur.

 

Alex Gerbaulets Arbeiten sind Suchspiele, zu denen es keine exakten Schlüssel gibt.
In MARGIT nimmt sie die Handkamera wie einen Dietrich und öffnet uns das Haus ihrer Großmutter. In dessen ausgebrannten Zimmern sind ihre individuelle und unsere kollektive Erinnerung eingesperrt. Der tastende Gang koppelt uns an die Körperbewegungen der Filmemacherin, der wackelnde Lichtschein wird zum Äquivalent einer gemeinsamen Suche und eines überraschten (Wieder)Findens. Bekanntes kippt ins Unerwartete. Die abgelagerten Spuren scheinen auch uns vertraut und fremd zugleich. Wir sehen Reste gelebten Lebens und deren Auslöschung. Der Ruß der verkohlten Wände, das Dämmerlicht der verschlossenen Läden, die Druckerschwärze des Sensationsberichts im Lokalblatt und das Schwarz der Zwischenkader legen sich über das Vergangene. Sie haben sich bereits ins filmische Bild eingebrannt. Verdunkelung als Bedingung (un)möglicher Erinnerung.


Davon handelt auch DATTERODE. Nur dass der suchende Blick hier vollkommen abprallt an der dörflichen Idylle, die den NS-Mörder birgt. Das mitgebrachte Instrumentarium der Entschlüsselung zerbricht. Die Videokamera durchdringt die dicken Fachwerkfassaden nicht. Aus den Fenstern blicken nur Masken zurück: kein Gesicht, nur der Gartenzwerg, das Plastikpferd, die Stoffrose. Die kritischen Kommentare der Sprecherin sagen zwar Ich und Ihr und Wir, treffen aber auf kein Gegenüber. Der Ton bleibt so isoliert im Off, als käme er aus einer anderen Welt. Der Reißschwenk, der im abrupten Cut der Einstellung endet, erzählt von diesem abgebrochenen Dialog, der nie einen Anfang hatte. Daher scheitert auch der Versuch, beim Fest ins Innere der hermetischen Gemeinschaft vorzudringen. Der Körper der Filmemacherin reagiert drastisch. Indem sie ‚sich übergibt’, kotzt sie alles aus, was sie sich vorher einverleibt hat: ein symbolischer Akt des Scheiterns, der auch die Grenzen des Mediums und des eigenen Blicks im Dienst aktivistischer Erinnerungspolitik einschließt.


Dass Körperpolitik Teil nationaler Politik ist und an physischen wie räumlichen Grenzen operiert, zeigt auch GEFANGENENBILDER. Die Haut inhaftierter junger Männer ist mit Nazi-Emblemen tätowiert. Ihre Tatoos sind inkarnierte Weltanschauung. Ausdruck rassistischer Gesinnung und Anblick für eine eingeschworene Gemeinde markieren sie ein inneres Selbstbild und eine exklusive Zugehörigkeit. Alex Gerbaulets Film zeigt jedoch, dass dieses Passepartout von Innen und Außen verrutschen kann. Denn im Gefängnis sind die jungen Neonazis ihrerseits von der Gesellschaft ausgegrenzt. Sie beginnen daher, ihre Hautbilder neu zu gestalten und lassen sich die Nazi-Embleme entfernen. Ob das gelöschte Körperzeichen einem Sinneswandel entspricht oder lediglich ein Persilschein ist, bleibt offen.


Offen bleiben auch die Begriffe bei Alex Gerbaulet. ÜBER LAND spielt mit solchen Doppeldeutigkeiten. Es geht um verschiedene Arten von Landesgrenzen und ihrer Überschreitung. Vom Gesetz her können Grenzen hermetisch sein, geografisch jedoch durchlässig und umgekehrt. Der Übertritt kann als legal oder illegal gelten. Was die einen inhumanen Menschenschmuggel nennen, ist für andere humanitäre Fluchthilfe. Und am Ende des Films ist jeder feste Standpunkt eingebrochen. Kein Überich mehr und kein Überland.