HEIMSUCHEN
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reflektieren, perforieren, demonstrieren
„Demokratie bedeutet vielmehr, dass der Konflikt um die Frage, welche Öffentlichkeiten als politisch legitim toleriert werden und welche nicht, nicht von vornherein (...) automatisch schon entschieden ist.“
(O. Marchart; Kunst, Raum, Öffentlichkeit(en); www.eipcp.net)
Vorüberlegung: Kann man (von) Toleranz erzählen oder sollte sie nicht wesentlich etwas sein, was sich ereignet? Und was passiert genau, wenn sich Toleranz ereignet? Wer ist tolerant und wer wird toleriert? Kann man Toleranz ankündigen? Kann ich mich gegen Toleranz wehren oder passiert sie mit mir? Sollte Toleranz nicht un-möglich sein? Erst wenn sie nicht möglich, nicht vorhersehbar und nicht angekündigt ist, kann Toleranz uns heimsuchen. Sonst reproduziert sie nur das Dilemma einer moralisierenden humanistischen Position, die im Akt der Toleranz die ihr eingeschriebenen Macht- und Gewaltverhältnisse fortschreibt.
Die Idee ist, im temporären Gebäude von Folke Köbberling und Martin Kaltwasser ein Kino einzurichten und dort an drei Abenden Filme übers „heimsuchen“ zu zeigen. Filme. Und. Videos. Womit die Dark-Room Atmosphäre des Kinos erweitert wird um die alltägliche Erfahrung von Video als Clip, Überwachung, Unterhaltung und Verdoppelung von öffentlicher und privater Lebenszeit.
Video scheint eher geeignet, Ereignisse abzubilden und Taktiken zu demonstrieren, die sich inmitten und im Angesicht der Geographien der Macht entfalten und vorgegebene Lesarten unterwandern.
Ein Filmprogramm bestimmt nicht nur jeden einzelnen Film immer wieder neu, sondern schafft auch jedes Mal einen neuen Raum für ästhetische, politische, soziale Erfahrungen. Architektur wird mit dem Körper wahrgenommen und gebraucht, taktil und optisch, auch den Film nehmen wir optisch wahr und sind im Kino gleichzeitig körperlich und mit anderen anwesend.
Wo Köbberling und Kaltwasser aus gefundenen, entledigten Materialien etwas Neues bauen – Recycling betreiben – stelle ich gesehene, erinnerte Filme zusammen und schaffe innerhalb des Raumes der Beiden einen weiteren Raum der Begegnung.
Neben diesen topografischen Verschränkungen hat mich für mein Projekt vor allem interessiert, was für eine gefährliche Kreuzung die Begriffe Toleranz und Öffentlicher Raum inhaltlich bilden. Wie wird Toleranz gemacht und in welche Vorstellung von öffentlichem Raum ist sie eingebettet?
Was soll gezeigt werden? Mit Filmen/ Videos nachtragen, sichtbar machen was sonst in der öffentlichen Diskussion unsichtbar bleibt? „Authentische“ Geschichten von marginalisierten, ausgegrenzten, prekären Gruppen (nach-)erzählen? Also selbst „Toleranz“ betreiben?
In den Filmen und Videos, die ich erinnert, angesehen und schließlich zueinander gestellt habe, geht es in unterschiedlicher Weise darum, die umstrittenen und umkämpften Begriffe Toleranz und Öffentlichkeit auszuloten und ihre jeweiligen Macht- und Gewaltverhältnisse zu benennen. Um sich schließlich den Taktiken zuzuwenden, mit denen die Tolerierten ihre zugewiesenen Orte verlassen, zu Wiedergängern werden, öffentliche Orte heimsuchen und ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen.
Wie können also die Verhältnisse ins Bewusstsein gerückt werden? Wie in Bewegung geraten? Dieser Frage möchte ich in drei Schritten nachgehen: reflektieren, perforieren, demonstrieren.