MOV!NG ON
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So was wie eine Einleitung
Nach vielen Monaten Diskussion, Organisation und allem nun eine Einleitung. Wie machen wir das? Die Diskussionen haben sich entwickelt, sind aber noch lange nicht fertig, und werden es wohl nie sein, es geht weiter. Einig sind wir uns darüber, dass die Handlungen im Vordergrund stehen und nicht die ‚Grenzen’, im Detail sind unsere Ansichten teilweise aber doch unterschiedlich, es gab immer wieder Diskussionen, zum Ansatz von MOV!NG ON., zu unseren Zielen, Fragestellungen, die wir immer wieder neu betrachten. Trotzdem ein gemeinsamer Text, wir diskutieren wieder, führen ein Email-Gespräch und fügen daraus Bruchstücke, Fragmente zusammen, ein Ganzes wird es wohl nicht werden, soll es auch gar nicht.
/ Ich fände es auch noch interessant zu beleuchten, was die Motivation der AG war, sich all diesen Fragen zu stellen und in wie weit gerade die NGBK dafür ein geeigneter Platz ist. Wie sind wir dem Thema ‚moving on’ gerecht geworden und welche der Ziele, die wir im Vorfeld unserer Arbeit hatten, konnten realisiert werden?
/ Weiterhin ist auch zu bedenken, und das haben wir ja auch oft thematisiert, was dabei unsere ‚kuratorische Funktion’ als Arbeitsgruppe betrifft.
/ Hier stellt sich ja weitergehend die Frage, nach welchen Kriterien die künstlerischen Arbeiten, TheoretikerInnen sowie politischen Gruppen in die Ausstellung, Publikation oder zu den Veranstaltungen eingeladen wurden.
/ Was ist uns an den ausgewählten Inhalten wichtig und warum und in welcher Form stellen wir durchaus auch unterschiedliche Ansätze nebeneinander?
/ Uns geht es ja nicht um eine Übersicht, eher um eine ‚These’ oder einen ‚Slogan’.
/ Auch in dem Sinne was für uns politischer Antirassismus ist. Oder wie politische Arbeit/ Migrationspolitiken und Kunst zusammen kommen.
/ Für unseren Ansatz von MOV!NG ON galt von Anfang an, nicht von den staatlichen Repressionsmomenten, etc. auszugehen, sondern bei der ‚Autonomie der Migration’ anzusetzen, und von den Kämpfen her zu denken. So wichtig uns das war, ist uns dieser Ansatz zwischendurch immer wieder entglitten und wir haben immer wieder diskutiert, um zu ihm zurückzufinden.
/ Eben weg von der Repression, von der aus man sofort bei einem ‚Opferdiskurs’ anlangt, hin zu einer Perspektive der Migration. Wenn ich mich darauf einlasse, gibt es einen Schritt dahin, das wäre zumindest zu wünschen, auch als ‚Mehrheitsangehörige’ die Ebene der Definitionsmacht und das Dilemma der moralisierenden humanistischen Position zu verlassen...
/ Unser Untertitel heißt ‚Handlungen an Grenzen’, und das macht es doch schon ziemlich klar: diese Grenzen (wie kann man diese überhaupt denken, geht man von einem permanenten Grenzraum aus?) sind umkämpft. Für mich ist das der ‚rote Faden’, da ich davon ausgehe, dass diese viel beschworenen Grenzen immer schon in dieser Auseinandersetzung geformt, vielleicht sogar hervorgebracht werden.
/ In allen Bereichen, in den Veranstaltungen vorher, jetzt in der Publikation und in der Ausstellung, wollen wir vor allem diese Handlungen an Grenzen zeigen, dabei geht es uns um verschiedene künstlerische und politische Strategien für einen politischen Antirassismus.
/ Ja, die Strategien haben uns immer wieder beschäftigt, das ist es auch, was weitertragen kann. Zu sehen, das es eine gute Strategie sein kann, einen Verein zu gründen, wie das Refugees Emancipation e.V. gemacht haben, um Zugang zu Informationen, Kommunikation und damit eine Eigenermächtigung zu erreichen. Oder im anderen Fall eher das Kommunikationsmittel eine Strategie ist, um sich eine politische Stimme zu verschaffen, wie bei den Mujeres sin Rostro.
/ Oder die Grenze z.B. als umtanzter Raum im Video Berlin – Potsdam. Am Ende weiß sie selbst nicht mehr, was sie ein- oder ausschließt. Oder sie wird zu einem fragilen Kreidestrich gemacht. Auch das kann Kunst: etwas lächerlich machen. Und was wir auslachen können, das können wir auch leichter übergehen, perforieren, verändern.
/ Die Gegenseite dazu ist wieder die der Repression: Eine Landkreisgrenze ist noch weniger Sichtbar als ein Kreidestrich. Zumindest wir als Mehrheitsdeutsche nehmen sie gar nicht war, denn uns würde niemand am Übertreten hindern, ob mit oder ohne Sichtbarmachung durch einen Kreidestrich.
/ Das ist sicher auch eine Gradwanderung, die Repressionen nicht auszuklammern, sondern sie sichtbar zu machen und trotzdem über sie hinausweisen zu wollen.
/ Esra Ersens Hochzeitsauto finde ich da ein gutes Beispiel. Es verweist einerseits auf die Repression, darauf, dass verheiratete bi-nationale Paare einer Befragung zur Überprüfung einer ‚Scheinehe’ ausgesetzt werden können. Andererseits steht das Auto, das schon für die Hochzeit geschmückt ist, auch dafür, dass sich die Leute das Recht auf Heirat nicht nehmen lassen.
/ Aber nicht nur diese Gradwanderung zieht sich durch die Ausstellung und Publikation. Insgesamt geht es auch darum, zu fragen, was mit Bildpolitiken erreicht oder gezeigt werden kann. Da sind auf der einen Seite die ‚Dokumente’ politischer Kämpfe, wie z.B. die Demontagen von Abschiebeknästen, oder die Dokumentation einer Aktion im Rahmen von deportation class. Hier geht es vor allem darum, die Thematik und die Aktionen sichtbar zu machen und damit auch diskutierbar, oder sie können vielleicht sogar zum Nachahmen anregen.
/ Eine andere Art von ‚Dokument’ sind für mich zum Beispiel die beiden Videos von SPACECAMPAIGN Denn sie dokumentieren auch einen Eingriff in eine rassistische Realität. Allerdings wird für diesen Eingriff zuerst eine andere Realität erfunden, und uns wird die Frage zurück geworfen, was wir eigentlich sehen und voraussetzen.
/ Für mich haben solche performativen und oder mit Fake operierenden Bildstrategien zweierlei Effekte: Sie verunsichern und destabilisieren rassistische Bildpolitiken und gehen damit andererseits auch aktiv gegen Zuschreibungen vor. Also weit über das hinaus, was sie an rassistischen Mustern sichtbar machen und anklagen.
/ Einen solchen ‚Effekt’ sehe ich auch in Julika Rudelius´ Fotos. Sie sind inszenierte Realitäten, die vielleicht nicht viel über Realität aussagen, aber darüber, wie wir Realität konstruieren und auch und vor allem rassistische Realitäten. Noch bevor wir die Fotos ganz erfasst haben, weisen wir dem Dargestellten schon eine Bedeutung zu – bevor wir merken, dass etwas nicht stimmt. Danach müssen wir ganz neu mit Fragen anfangen.
/ Denkt ihr, wir sind dem Anspruch politischen Gruppen einen Raum für Öffentlichkeit und Intervention zu bieten gerecht geworden und kann man diesem Anspruch überhaupt gerecht werden?
/ Und ist die Öffentlichkeit, die mit Ausstellungen, Publikation und Veranstaltungen erreicht wird, für politische Gruppen überhaupt interessant?
/ Natürlich geht es bei einer Ausstellung vordergründig um Repräsentation, da sie sich im Feld des Visuellen bewegt.
/ Sichtbarkeit ist doch für viele politische Gruppen wichtig. Viele von ihnen wollen sichtbar sein, müssen sie auch, wenn sie Forderungen durchsetzen wollen. Sichtbarkeit ist also weiter ein wichtiges Thema.
/ Vielleicht sollte man erst mal fragen, welches Anliegen verknüpft sich für Politgruppen mit der Form einer Ausstellung, Veranstaltung oder einer Publikation im Kunstumfeld. Wie wird in diesem Kontext Ausstellung gedacht, wie kann man diese für die laufenden Projekte nutzen?
/ Bezogen auf die Ausstellung sehe ich rückblickend das doppelte Problem, dass es einerseits bei uns in der Gruppe keinen Konsens darüber gab/ gibt, was Kunst sein kann, noch was eine Ausstellung sein kann.
/ Klar, über die Beteiligung von politischen Gruppen in der Ausstellung haben wir viel nachgedacht, über den Versuch, die Arbeit der Politgruppen in die Ausstellung zu bringen, bzw. vorhandene Arbeiten im Rahmen der Ausstellung weiterzudenken.
/ Und dabei macht z.B. die Chipkarten Ini für die Ausstellung das, was sie immer macht: sie kauft ein und tauscht Chipkartengeld gegen Bargeld. Wir stellen ein Regal bereit und dann heißt es: „Kunstpublikum, kauft Klopapier in der NGBK, oder Espresso oder was auch immer in den Regalen gerade ist. Frisches Gemüse sucht ihr hier vergeblich!
/ Da sehe ich in diesen Momenten schon etwas eingelöst von unserer Anfangsidee: die der Öffnung des Ausstellungsraums. Ich sehe da einen ‚shift’ von der Bereitstellung des Raumes durch uns, die zunächst gar nicht auf Interesse stieß, hin zu einer Nutzung des Raumes durch die jeweilige Gruppe, auch im Sinne einer ‚Besetzung’ eines Teiles dieser Öffentlichkeit durch ihre Themen.
/ Was können wir den Politgruppen überhaupt anbieten, was springt raus aus den Allianzen? Wie können die einzelnen, ‚künstlerischen’ und ‚politischen’ Beiträge zusammengebracht werden?
/ Ich würde diese Fragestellung mit folgender Frage ergänzen: Welche Bedeutung kommt innerhalb einer Kooperation von Kunst und Politik dem ‚gemeinsamen’ Anliegen zu? Spielt das überhaupt eine Rolle? Werden Interessen eher kurzfristig parallelisiert oder inwieweit ist langfristig ein gemeinsamer Weg denkbar?
/ Das betrifft, denke ich, nicht nur Kunst und Politik. Interessen, Forderungen, gemeinsame politische Ziele können ja verschiedene Ausdrucksweisen finden.
/ In dem Zusammenhang finde ich es wichtig, sich mit dem Problem der Kulturalisierung auseinanderzusetzen, oder was passiert, wenn virulente Konflikte in Kunstereignisse übertragen werden?
/ Was heißt das im Bezug auf Allianzen? Rúbia Salgado beschreibt Allianzenbildung als eine mögliche Strategie von vielen, und fragt warum und wozu Projekte realisiert werden. Warum beteiligt man sich daran?
/ Ich denke an die Frage: How is your liberation bound up with mine? Die Frage ist für mich insofern zentral, als sie das Verhältnis der agierenden Subjekte zueinander befragt. Was tue ich also darin und warum? Da geht es für mich tatsächlich auch nicht nur um Umverteilung oder Unterstützung. Beides hält die Hierarchie aufrecht und somit auch ein Stück weit die Machtverhältnisse, von denen Allianzen zwischen MigrantInnen und Mehrheitsdeutschen durchkreuzt werden. Wie also können diese Verhältnisse ins Bewusstsein gerückt werden, wie angegangen werden? Wie in Bewegung geraten?
AG MOV!NG ON
Insa Breyer, Claudia Burbaum, Maja Figge, Alex Gerbaulet, Farida Heuck, Birgit zur Nieden, Mark Schiffner, Zala T.S. Unkmeir