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O.T.
Sprengt den Opfer-Täter-Komplex!

D/A 2005 | Sprachfassung: dt

Alex Gerbaulet & Michaela Pöschl

 

Die Installation besteht aus einem 14 minütigen Video, einem großformatigen Foto, einem Plakat zum Thema „Gewalt gegen Frauen“ und auf die Glasscheibe geklebtem Text.

 

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Sprengt den Opfer-Täter-Komplex!
Ausstellungsrezension von Maria Hutterer für die Zeitschrift „fiber“ Juni/ 05

 

Gegen diverse politisch fragwürdige, verwaschene und verwischende Kampagnen, die Gewalt gegen Frauen im Wiener Stadtraum thematisieren, setzt die Videoinstallation Sprengt den Opfer-Täter-Komplex! eine erstaunlich klare ortsspezifische Intervention. In einem der Zentren der sozialdemokratischen Frauenpolitik, im ega, haben die Künstlerinnen Alex Gerbaulet und Michaela Pöschl zwei Fotoprints und ein Video installiert, die einerseits über die abends von 19 bis 24 Uhr aktive Schaufenstergalerie des ega einer breiteren Öffentlichkeit einen intensiven Einblick in das Thema Schneiden am eigenen Körper ermöglichen. Zugleich richten sich Video und Bilder aber auch als institutionskritische Installation an das Innere der SP-Institution. Denn nicht nur die in letzter Zeit von Männern durchgeführte Kampagne "White Ribbon – Männer gegen Männergewalt", sondern auch die Informationskampagne der SPÖ-Frauen zum Thema Stalking verstärkt die dichotome Logik von "Täter" und „Opfer“. Auch in frauenpolitischen Diskursen werden regelmäßig Tendenzen verstärkt, die Frauen als Opfer identifizieren: die Rede ist da etwa von „Opferschutzeinrichtungen“ oder „gefährlichen Lücken im Opferschutz“.
An diesem Punkt setzt die Installation an: Einerseits greift sie Ästhetik und Begrifflichkeit feministischer Militanz auf, um mit dem Sprengen des "Opfer-Täter-Komplexes" die Entpolitisierung hegemonialer Frauenpolitik zu attackieren. Andererseits wird in der Videoarbeit ein scheinbares Detail aus dem Gesamtkomplex herausgeschält, das sich zugleich als Symptom und Überschreitungsstrategie lesen lässt: die Suche nach einer positiven oder indifferenten Besetzung des Themas Schneiden, das bisher nur an der spektakularisierenden Oberfläche von TV-Shows verhandelt wurde. An diesem gesellschaftlich zugleich marginalisierten und skandalisierten „Detail“ aktualisieren Gerbaulet/Pöschl nicht nur eine Kritik der Opferkonstruktion, sondern auch das von ihnen geforderte Durchbrechen des Opfer-Täter-Komplexes: „Zur Rasierklinge zu greifen bedeutet, zur Täterin zu werden und eine Differenz zur Opferposition zu markieren, indem ich diese Differenz inszeniere."

 

 

Sprengt den Opfer-Täter-Komplex!

Alex Gerbaulet & Michaela Pöschl

Erschienen in der Zeitschrift „fiber“ Juni/ 05


I.

Der Schnitt in die Haut funktioniert wie ein Schnitt in die Wirklichkeit. Er produziert Distanz zur Realität, kontrolliert und inszeniert das, was war: wie ein Foto. Im Kunstkontext ist das Schneiden am eigenen Körper ein Medium unter vielen. EineR schreibt, eineR malt, und eineR verwendet den eigenen Körper oder die Körper anderer. Kunst sagt, „es ist Kunst“, verschiebt Perspektiven und bietet Möglichkeiten, übers Schneiden nachzudenken und zu sprechen. In diesem Kontext hat Schneiden Freiheit bedeutet. Lange war ich der Meinung, Grenzen zu akzeptieren und nicht zu überschreiten, sei eine Position von Schwäche. Dann hat mir Pili entgegnet: Grenzen zu haben und danach zu leben, ist eine Position von Stärke.

 

II.

Als ich 17 war, hat meine Freundin von ihrem Bruder erzählt; beide wurden vom Vater geschlagen. Ihr Bruder hat diese Wunden, Narben und blauen Flecken vor Außenstehenden immer so dargestellt, als wären es Narben aus spektakulären Schlägereien, er hat damit angegeben. Als sie ihm ihre Schnitte gezeigt hat, hat er sie beschimpft: Sie würde nie einen Freund kriegen, das sei ja widerlich, sie als Frau würde dadurch ganz unattraktiv. Männerblut ist gutes Blut, Kriegerblut auch, Jesusblut ist bestes Blut: Krieger sterben für Jesus und Vaterland. Frauenblut ist mit Scham und Ekel verknüpft. Frauen stellen ihre Wunden nicht zur Schau wie z.B. Iggy Pop, der sich auf der Bühne Texte in seinen nackten Oberkörper geritzt hat. Auf Fotos wirkt der nackte, durchtrainierte (blutige) Oberkörper von Iggy Pop sexy: Produziert wird eine Ästhetik, die zwar anders ist als üblich, schmutziger, aber dennoch cool. Fotos des blutverschmierten Sängers sprechen von männlicher Kraft und sexueller Ausstrahlung. Bei Frauen lassen sich zum Bild eines blutverschmierten nackten Oberkörpers nicht so leicht die Attribute „Sexappeal“ und „Wildheit“ addieren, eher „Wahnsinn“ und „Gefahr“s, kein Glamour. Auf Körpern von Frauen wird Schmerz/Missbrauch als etwas gelesen, das nach innen wirkt und die Person als ganzes (am Markt) entwertet. Männer macht erlittener Schmerz härter und begehrenswerter. Ein harter Körper, eine Oberfläche, die ich kontrollieren kann.


III.

Ich war zwischen 13 und 14, da hat einer der Nachbarn bei uns im Dorf mich fast vergewaltigt. Als er mit seinem Körper auf mir drauflag, habe ich eine Säge zu fassen gekriegt, die in einem Werkzeugkasten unter der Kommode lag, und hab ihm beim Umdrehen mit der Säge über den Arm geschnitten. Dann habe ich ihn mit der Säge in der Hand dazu gebracht, mich rauszulassen. Ich bin rübergerannt zu meiner Oma und hab ihr die Geschichte erzählt. In der Zeit, als sie wiederum rüber gegangen ist, um ihn zur Rede zu stellen, habe ich alles aufgeschrieben und eine Art Protokoll erstellt. Ich habe nicht daran gedacht, dass ich ein Opfer gewesen bin, sondern habe mich an die Vorstellung gehängt, ihn verletzt zu haben. Dann ist meine Oma zurückgekommen, und das war ernüchternd. Sie hat erzählt, dass er eine andere Version erzählt, sie nicht wüsste, wem sie glauben soll, und es besser wäre, man belässt es dabei. Ein paar Monate danach habe ich mich zum ersten Mal geschnitten. Im Nachhinein gefällt mir die Vorstellung, dass ich zwar Narben am Arm habe, dass er an seinem Arm aber eine ähnliche Narbe hat, und zwar von mir. Geschnitten-Werden ist eine Metapher: Keiner spricht mit mir. Dann erinnere ich mich an Maggie, meine beste Freundin: Als ich nach einem Jahr LA nach Österreich zurückging, haben wir uns ein M ins Knie geritzt: sie mir, ich ihr, an derselben Stelle, und danach mit Tinte und Asche eingerieben, damit die Ms sichtbar bleiben. Selbstverletzung ist ein Zustand, in dem ich einen Teil von mir nicht sehen kann. Wir wollten uns erinnern.


IV.

Geschnitten-Werden ist eine Möglichkeit, Nähe zu teilen und Emotionen zu zeigen. Für mich war Schneiden im Rahmen von Sex eine zeit lang die intensivste Art, Nähe herzustellen oder jemandem nahe zu sein. Schneiden bedeutete, zur Täterin zu werden und eine Differenz zur Opferposition zu markieren, indem ich diese Differenz inszeniere. Ich wechsle die Seiten. Die Person, die mir am nächsten war, ist Konflikten aus dem Weg gegangen. Sie hat mich als Gegenüber benutzt, mir ihr Leid zu klagen: Als Kind hatte ich die wenigsten Möglichkeiten, an ihrer Situation was zu ändern. Einmal lag mein Großvater drei Tage betrunken im Obstgarten. Wir haben nicht darüber gesprochen und gehofft, dass er stirbt. Hier liegt die Macht: zu sagen, dass ich keine Macht habe. Es war einfacher, sich mit einer Opferposition zu identifizieren, sich umsorgen und einen Platz zuweisen zu lassen. Sich mit der Täterposition zu identifizieren hat immer etwas Seltsames, scheint nicht so leicht möglich. Dabei signalisiert das Label „Opfer“ Ohnmacht und errichtet ungustiöse Hierarchien. Vom Objekt der Gewalt zum Objekt fremder Hilfe. Auch in feministischen Kontexten gibt es die Tendenz, sich mit Opfern zu identifizieren, was mich immer angenervt hat. Ich finde diese Haltung schwierig. Gleichzeitig weiß ich nicht, ob meine Aussagen über das Schneiden nicht in der selben Opferhaltung verharren. Mir ist jedoch mein Unbehagen lieber, und die Ambivalenz der Gefühle, die entstehen, wenn ich aggressiv, ausfallend und selbst zur Täterin werde. Ich ziehe diesen Konflikt – in dem ich meine sichere Position verlasse – der mir zugewiesenen Opferposition vor. Der Schnitt und mein erster Blick darauf sind befreiend. Schneiden bedeutet loslassen, schön, stark und hart sein, mir Gutes Tun, ein Mann sein, nie wieder berührt werden, die Dinge selbst in die Hand nehmen.